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Leben der Wanderarbeiterinnen in Großstädten
  2013-11-27 09:50:37  cri

Als China in den 1970er-Jahren mit der Reform- und Öffnungspolitik begann, öffnete es sich nicht nur der Außenwelt, sondern räumte auch seinen eigenen Bürgern mehr und mehr Freiheit und damit auch Freizügigkeit ein.

In den 1970er Jahren wohnte gerade mal ein Fünftel der chinesischen Bevölkerung in Städten. Heute, zum ersten Mal in der Geschichte Chinas, lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten, da viele Bauern ihre ländliche Heimat auf der Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen in Richtung Städte verlassen.

Aktuellen Zahlen des chinesischen Statistikamtes zufolge leben heute 712 Millionen Menschen in urbanen Siedlungsgebieten, während gleichzeitig die ländliche Bevölkerung auf 642 Millionen gesunken ist.

Es kommt auch immer öfter vor, dass die Wanderarbeiter, früher ein traditionell männliches Klientel, heute von ihren Frauen auf der Reise durch das riesige Land begleitet werden.

Dem Allchinesischen Gewerkschaftsverband zufolge erreichte die Zahl der weiblichen Wanderarbeiter im Jahr 2010 die Marke von 34,2 Millionen, was 36,1 Prozent aller Wanderarbeiter in China und 36,8 Prozent aller berufstätigen Frauen in China ausmacht.

Dem chinesischen Gewerkschaftsverband zufolge sind Wanderarbeiterinnen eine „unentbehrliche Kraft" für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes.

Heute stellen wir mehrere Wanderarbeiterinnen in Beijing vor, denn wir möchten den Beitrag, den Wanderarbeiterinnen für ihre Familien und die chinesische Gesellschaft leisten, würdigen.

Die 60-jährige Zhou Liumei und ihr Mann gehörten zu den ersten Bauern, die sich nach Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in Beijing niedergelassen haben. Ermutigt von ihrem Bruder öffneten Zhou und ihr Mann aus Zhangjiagang in der Provinz Jiangsu eine kleine Schneiderei an einer Straße in der chinesischen Hauptstadt.

"Wir gehörten zu den ersten Menschen, die in den 1970er Jahren nach Beijing gezogen sind. Ich erinnere mich, dass wir uns zuerst in Ganjiakou im Bezirk von Xicheng niedergelassen haben. Mein Mann war früher ein Schneider im Shanghaier Leimeng Modegeschäft mit einem Gehalt von weniger als hundert Yuan pro Monat. Mein Bruder hat uns überzeugt, selbst ein Geschäft zu eröffnen. Er sagte, dass es nur wenige erfahrene Schneider in Beijing gebe. So hat mein Mann seinen Job in Leimeng gekündigt und wir sind nach Beijing gezogen."

Zhou und ihr Mann begannen zuerst in Xidan mit dem Verkauf und dem Schneidern, denn Xidan ist eine der geschäftigsten Einkaufsstraßen von Beijing. Um der hohen Miete- und harten Konkurrenz zu entkommen, sind sie später zur Wanshou-Straße im Bezirk Haidian gezogen, wo sie bis heute schon seit ungefähr 18 Jahren wohnen. Obwohl sie beruflich sehr viel zu tun hat, sagt Zhou, dass sie die Freiheit genießt, die ihr dieser bescheidene Job auf der Straße anbietet.

"Neben der Miete bleiben mir noch 3000 bis 4000 Yuan pro Monat, und das ist viel mehr als ich zu Hause bei der Arbeit auf den Feldern verdient hätte. Ich habe eine 80-jährige Schwiegermutter in unserem Heimatdorf, die an Nierenkrebserkrankt ist. Da mein Mann an Diabetes leidet, geht es ihm auch nicht besonders gut. Deswegen muss ich in die Stadt, um mehr Geld zu verdienen."

Zhou sagt, dass ihr Mann die groben Schneiderarbeiten übernimmt, während sich seine Frau um die handwerkliche Kleinarbeit kümmert. Im Laufe der Jahre haben sie schon viele Entbehrungen erlebt, doch das hat sie zusammengeschweißt.

"Wir führen unser Geschäft und unterstützen unsere Familie zusammen. Wir lösen große Sachen zusammen. Meistens respektiere ich seine Meinung, weil ich denke, dass der Frieden in der Familie wichtiger ist. Streiten ist unnötig, weil der Ärger nicht hilft, die Probleme zu lösen, und dem Körper schadet. Wir sind ein Paar, nehmen wir aufeinander Rücksicht."

Wie viele Wanderarbeit aus der Stadt, reisen Zhou und ihr Mann einmal im Jahr zum Frühlingsfest zurück in die Heimat, um die Familie zu besuchen. Denn das Frühlingsfest ist das wichtigste Familienfest in China.

Obwohl sie ihre kranken Eltern und ihren Sohn in Zhangjiagang vermisst, kam es Zhou nie in den Sinn, ihre Arbeit in Beijing aufzugeben.

"Ich wüsste gar nicht, was ich in meiner Heimatstadt machen sollte. Ich bin schon über sechzig, ich kann nicht mehr auf dem Feld arbeiten. Ich will einfach nur schneidern. Darüber hinaus brauchen wir etwas Geld für die Arztrechnungen meiner Schwiegermutter und müssen auch noch ein bisschen Geld fürs Alter zurücklegen."

Zhou gibt zu, dass sie sich schon ganz gut an das Leben in Beijing gewöhnt hat:

"Was Essen und Leben betrifft, ist unsere Heimatstadt besser. Aber die Umgebung in Beijing ist einfach besser und komfortabler. Wir haben uns schon sehr an Beijing gewöhnt und finden es hier viel besser als zu Hause, denn wir können hier alles kaufen und das Wetter ist trockener. Das ist vor allem im Winter gut, denn in meiner Heimatstadt ist es im Winter oft feuchtkalt und da es keine Zentralheizungen gibt, wird es dann schnell unangenehm kalt."

Am Häufigsten sind Wanderarbeiterinnen in Beijing als Hausangestellte oder Hausmeisterinnen für Bürogebäude tätig.

Deswegen ist Zhou Liumei mit ihrer Schneiderei ganz zufrieden. Die Selbständigkeit gibt ihr die Freiheit, die die sechzigjährige braucht.

Die 50-jährige Huang Changlan aus Nantong in der Provinz Jiangsu, wollte auch ihr eigener Chef sein, nachdem ihr Mann sich bereits als Handwerker niedergelassen hatte.

Sie hat einen kleinen Haushaltswarenladen eröffnet und fühlt sich im Haushalt jetzt gleichberechtigt, weil sie auch Geld verdient.

"Mein Mann und ich sind gleich. Wir besprechen und lösen wichtige Sachen gemeinsam und regeln kleinere Dinge eigenständig. Wir teilen auch die Verantwortung für die Familie gleichmäßig unter uns auf. Mein Kind ist erwachsen und arbeitet jetzt auch in der Stadt."

Der chinesische Gewerkschaftsverband erkennt die wichtige Rolle von Frauen für die städtische Arbeiterschaft an, doch sie betont auch den zusätzlichen Druck, dem Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen gegenüberstehen, da sie nicht nur ihre beruflichen, sondern auch ihre familiären Verpflichtungen unter einen Hut bringen müssen.

Besonders der Umzug vom Land in die Städte setzt viele Wanderarbeiter unter immensen sozialen und psychischen Druck, denn die Trennung von der Familie setzt vielen zu.

Schätzungen zufolge gibt es in China zurzeit mehr als 60 Millionen Kinder und 50 Millionen Senioren, die in den Dörfern „zurückgelassen" wurden, weil die erwachsenen Kinder in den Städten nach Arbeit suchen müssen, um die Familie finanziell zu unterstützen.

„Ich musste mit meinem Mann in die Stadt ziehen, um Geld zu verdienen. Wenn die Zeit kommt, dass unsere Eltern Pflege brauchen, werden wir definitiv zurück aufs Land ziehen, um uns um sie zu kümmern. Aber wir werden dann wenig Einkommen haben. Wir wollen so viel Geld wie möglich verdienen, damit die jüngere Generation die Last nicht alleine tragen muss."

Obwohl die Trennung von der Familie die Frauen schon unter Druck setzt, müssen sie sich auch den Herausforderungen des Lebens in Beijing stellen. Hier noch mal Zhou Liumei:

„Mein Kind kann jetzt eigenständig Geld verdienen, dadurch wird das Leben viel leichter als vorher. Auch die Regierung hat einiges dazu beigetragen, dass sich die Situation der Wanderarbeiter verbessert hat. Wir haben ein Haus in unserer Heimatstadt aber nicht so viel Geld zur Verfügung. Wenn wir in der Stadt genug Geld verdient haben, gehen wir nach Hause zurück."

Da erwartet wird, dass die urbane Bevölkerung bis 2030 auf 70 Prozent ansteigen wird, werden in den nächsten Jahrzehnten immer mehr Frauen vom Land in die Städte ziehen um Jobs außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors zu finden. Obwohl der chinesische Gewerkschaftsverband sich zwar verstärkt um Wanderarbeiterinnen kümmert, und auch psychologische Betreuung anbietet, erfordert die Komplexität der sozialen Herausforderungen in China mehr bürgerschaftliches Engagement und mehr Aufmerksamkeit von staatlichen Stellen.

Übersetzt von Li Yan

Gesprochen von Zhu Qingan

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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