Die Suche nach Carl Anger: Ein 70 Jahre altes Versprechen
|
„Herr Carl Anger oder Angehörige seiner Familie, wir kümmern uns noch immer um die Bücher, die Sie uns vor 70 Jahren anvertraut haben. Wenn Sie das hören können, setzen Sie sich bitte mit uns in Verbindung, um sie zurückzunehmen."
Das war Pan Lu, eine 65-jährige Bewohnerin von Shanghai. Sie machte diese Durchsage vor kurzem auf einer kleinen Pressekonferenz im Shanghai Museum für jüdische Flüchtlinge.
Der oben erwähnte Carl Anger war einer von Zehntausenden von Juden, die vor den Aggressionen der Nazis während des Zweiten Weltkrieges in Shanghai Zuflucht gesucht haben. Vor der Rückkehr in sein Heimatland 1943, hat Anger seine Sammlung von fast zweitausend Büchern seinem chinesischen Freund, Lin Daozhi, dem Schwiegervater von Pan Lu, hinterlassen.
Lin starb 1981 im Alter von 93 Jahren. Die Bücher, die die Bombardierungen während der japanischen Invasion und die Kulturrevolution in den 1960er Jahren überlebten, wurden an seine Söhne und Schwiegertöchter weitergegeben. Wenn die Familie nicht umgezogen wäre, wären die Bücher noch immer in den Händen der Familie Lin geblieben. So werden Angers Bücher, darunter Bibeln auf Neuhebräisch, Englisch und Deutsch, sowie Kinderbücher, jetzt der Shanghaier Bibliothek im Berzirk Hongkou zur besseren Aufbewahrung übertragen.
Seit August 2013, versuchen Pan Lu, die jüngste in der Familie und ihre Neffen den Aufenthaltsort der Familie Anger mit der Hilfe des Shanghai Museums für jüdische Flüchtlinge zu verfolgen. Han Yi, eine Mitarbeiterin des Museums, erinnert sich noch an das erste Mal, als sie die Wohnung von Pan Lu besuchte:
„Wir waren unermesslich berührt. Ihr Wohnraum ist so beschränkt. Er hat nur ungefähr zehn Quadratmeter und die Bücher nehmen viel Platz ein. Sie haben vielen Schwierigkeiten auf sich genommen, um sich um die Bücher zu kümmern. Nach 70 Jahren sind sie noch immer vollkommen versiegelt und werden im Holzkabinett aufbewahrt."
Versprochen ist versprochen. Der Enkel von Lin Daozhi sagt, es sei immer der Wunsch von Lin gewesen, seinem deutschen Freund die Bücher zurückzugeben.
„Er hat es sein ganzes Leben lang bereut, dass er die Bücher ihrem Eigentümer nicht zurückgeben konnte. Mein Großvater steht zu seinem Wort."
Die Familie Anger zu finden, ist eine schwierige Sache, da der einzige Anhaltspunkt eine nicht mehr zeitgemäßige Adresse aus einem Brief ist, den Carl Anger seinem chinesischen Freund nach der Rückkehr gesendet hat.
Als einer der wenigen Zufluchtsorte für Juden während des Zweiten Weltkrieges hat Shanghai mehr als dreißigtausend jüdische Flüchtlinge aufgenommen. Die meisten von ihnen haben im Bezirk Hongkou gelebt, wo sich heute das Museum befindet.
Das Shanghai Museum für jüdische Flüchtlinge wurde 2007 gegründet und in der Nähe der Ohel Moshe Synagoge, in einem historischen Gebäude, das einmal das Herz der jüdischen Flüchtlingsgemeinschaft in Shanghai war, errichtet. Heute ist es eine Sehenswürdigkeit, die auf der Liste jüdischer Touristen in Shanghai nicht fehlen darf.
Catherine ist eine Touristin aus Israel. Der Besuch des Museums hilft ihr, die Geschichte der Juden von Übersee zu verstehen. Sie ist von der Güte des chinesischen Volkes sehr berührt, die es den jüdischen Flüchtlingen gezeigt hat.
„Ich habe eine Person gesehen, die einmal darüber sprach, wie sie hier empfangen wurde. Es war für mich sehr wichtig zu hören, was sie gesagt hat. Auch wenn die chinesischen Leute damals sehr arm waren und sich in sehr problematischen Situationen befanden, so wären sie dennoch immer freundlich und hilfsbereit gewesen."
Catherine hat von der Geschichte zwischen Carl Anger und seinem chinesischen Freund Lin Daozhi gehört und interessiert sich sehr dafür. In der aktuellsten Nachricht einer lokalen Zeitung in Shanghai steht, dass ein ehemaliger jüdischer Flüchtling den Grabstein von Carl und seiner Frau in einer kleinen Stadt in Norddeutschland ausfindig machen konnte. Jedoch zeigen die Aufzeichnungen der lokalen Registratur, dass sie leider keine Kinder hatten. Die Suche nach dem echten Eigentümer dieser Bücher geht also noch weiter.
Verfasst von: Liu Xinyue
Gesprochen von: Liu Xinyue