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Menschen auf Ostkurs – 10 Fragen an Ines Brunn
  2013-02-21 19:17:54  cri

Leben und Arbeiten in China: Erleben Sie die Volksrepublik und im Besonderen die chinesische Hauptstadt Beijing durch ihre ausländischen Bewohner. Heute haben wir zehn Fragen an Ines Brunn gestellt. Die leidenschaftliche Fahrradfahrerin lebt seit 2004 in Beijing und bringt in ihrem Fixed-Gear-Shop im Wudaoying Hutong das Fahrrad an den Chinesen.

Wo kommen Sie ursprünglich her und wie und wann sind Sie auf China gekommen?

Ich stamme aus der Nähe von Erlangen, aus dem kleinen Falkendorf, hinter Herzogenaurach. Ich bin durch meine frühere Arbeit 2001 das erste Mal nach China gekommen. Zwischen 2001 und 2004 war ich sehr viel auf Geschäftsreisen in Asien unterwegs. 2004 bin ich dann nach China umgesiedelt.

China – das Reich der Mitte: Was hat das damals für Sie bedeutet, bevor Sie hier ankamen?

Ich bin leidenschaftliche Fahrradfahrerin. Für mich war China das Land der Radfahrer. Es war immer ein Traum, nach China zu kommen, um zu sehen, wie das ganze Land Fahrrad fährt. Als ich dann zum ersten Mal hierher kam, habe ich mich sofort an einer großen Straßenkreuzung auf eine Überbrücke gestellt, gewartet, bis die Ampel grün wird, und die ganzen Fahrradfahrer beim Losfahren beobachtet. Ich fand das unheimlich beeindruckend, obwohl es deutlich weniger Radfahrer waren, als ich mir vorgestellt hatte.

Erster Tag im neuen Land, können Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke erinnern? Wie war das?

Ich bin im Winter angekommen. Es war kalt und in ganz Beijing lag der Geruch von Kohle in der Luft. Dazu rannten überall Kinder herum, die zwar dicke Kleidung trugen, die jedoch am Hintern offen war, so dass sie einfach auf die Straße pinkeln konnten. Das war schon ein sehr ungewohnter Anblick.

Was genau machen Sie hier?

Ich habe einen Fahrradladen und verkaufe Räder, hauptsächlich an Chinesen.

Bei meinem damaligen Job in der Telekom-Branche habe ich als Market Managerin die Asien-Pazifik-Region betreut. Ich hatte meinem Chef vorgeschlagen, zur besseren Kundenbetreuung nach Asien zu gehen. Nach einem Jahr Drängen hat er 2004 endlich zugestimmt. Damals liefen die Geschäfte in China nicht so gut. Also ging ich nach Beijing. Nach meiner Ankunft habe ich bemerkt, dass meine Eindrücke von 2001 bereits komplett anders waren. Ich bin von 2001 bis 2004 zwar jedes Jahr vier Mal nach Beijing, Shanghai, Guangzhou oder Shenzhen gereist, aber irgendwie war dieser erste Eindruck ganz anders und sehr prägend. 2004 hatte ich schon bemerkt, dass viel weniger Fahrradfahrer und deutlich mehr Autos auf den Straßen unterwegs waren. Das schockierte mich bereits. Von 2004 bis 2008 war die Veränderung dann noch drastischer – diese Masse an Autofahrern! Die Fahrradwege, die ich 2004 noch genutzt hatte, wurden mit der Zeit alle eliminiert. Hier wurde noch mal ein Parkplatz für Autos angelegt, dort noch mal eine Straße verbreitet.

Es war erschreckend zu sehen, dass in einem Land, das ich als Land der Fahrradfahrer betrachtet hatte, alle nur noch Autofahren wollten. Deshalb habe ich 2007 eine Fahrradgruppe eröffnet, eine Fixed-Gear-Gruppe. Ich fahre gern Starrnabenfahrräder. Damals gab es so etwas noch nicht und ich dachte, dass wäre vielleicht auch etwas für junge Leute.

Am Anfang waren wir nur zwei Ausländer. Nach acht Monaten hatte ich dann endlich fünf Chinesen gefunden, die ihre Fahrräder jedoch alle im Ausland gekauft hatten. Zu dieser Zeit gab es Starrnabenfahrräder in China einfach nicht.

Im Sommer hatte mir eine Bekannte dann vorgeschlagen, einen Fahrradladen zu eröffnen. Zunächst habe ich darüber natürlich nur gelacht, weil ich Physikerin bin und bisher einen sehr technischen Beruf ausgeübt hatte. Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, einen Fahrradladen zu eröffnen. Nachdem ich aber eine Nacht darüber geschlafen hatte, empfand ich das als eine wirklich gute Idee. Ich wollte schon immer mein eigenes Geschäft eröffnen, eine eigene Firma gründen. Ich hatte zwar mit der High-Tech-Branche geliebäugelt, aber nie wirklich eine gute Idee gehabt. Außerdem bin ich überzeugte Fahrradfahrerin. Wenn ich einen Fahrradladen habe, kann ich den ganzen Tag Fahrräder promoten. Ich kann den ganzen Tag etwas tun, um die Verkehrssituation in Beijing vielleicht ein bisschen zu verbessern. Und so habe ich mir einen damals noch sehr ruhigen Hutong ausgesucht und den Fahrradladen „Natooke" eröffnet.

Wie unterscheidet sich ein ganz normaler Arbeitstag in Beijing von einem Arbeitstag in Deutschland?

In China finde ich vieles pragmatischer. Es gibt ein Problem und eine pragmatische Lösung, während in Deutschland viele Dinge erst diskutiert werden müssen. Es werden Vorschläge eingeholt, Überlegungen angestellt. Und dann wird noch einmal diskutiert, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Hier handelt man gleich. Das entspricht eher meinem Naturell.

Was ist Ihrer Meinung nach „typisch" für Beijing beziehungsweise „typisch" chinesisch?

Typisch chinesisch ist, auf der Straße laut den Rotz hochzuziehen und ihn dann auszuspucken. Das kann auch in schönen Gebäuden oder auf dem Flughafen passieren. Wenn ich das dort hinter mir höre, denke ich immer „Ah, ich bin wieder zu Hause".

Typisch chinesisch finde ich auch, sehr viel über das Essen zu reden. Chinesen sind sehr um Zutaten, um gutes Essen besorgt. Vielfach macht man sich auch reichlich Gedanken dazu. Ich glaube, in anderen Ländern isst man einfach nur noch irgendetwas, weil man essen muss. Ich finde es sehr schön, dass dies hier noch so ein wichtiges Thema für alle ist.

Welche Eigenschaft der Chinesen, welche Gewohnheit würden Sie gern in Ihrer Heimat übernehmen?

Was ich sehr schön finde, ist der Fluss des Verkehrs. Viele Leute, die nach Beijing oder nach China kommen, sehen den Verkehr und sagen: „Oh mein Gott, so ein Chaos". Aber es ist kein Chaos. Vor allem, wenn man sich auf dem Fahrrad fortbewegt. Es ist zwar ab und zu schon ein kleiner Kampf, aber es gibt so eine Art Fluss. Die generelle Regel lautet „der Dominante gewinnt". Ich bin dominant und möchte gern schnell fahren. Das heißt also, ich kann dann auch fahren.

In Deutschland verläuft dagegen alles sehr geregelt. Wenn zum Beispiel die Ampel und somit auch die Fahrradspur grün ist und ein Auto rechts abbiegen möchte, dann kann es passieren, dass der Fahrradfahrer extra ein bisschen langsamer fährt, um den Autofahrer anhalten zu lassen. Das ist sinnlos! Weshalb muss man mit dem Autofahrer diesen Kleinkrieg führen oder der Autofahrer mit dem Fahrradfahrer oder zwei Autofahrer miteinander?

Dass hier im Endeffekt alles so seinen Fluss hat, finde ich sehr schön. Und wenn man auf der linken Spur der Autobahn ganz langsam fahren möchte, geht das auch. Hier herrscht viel weniger Aggressivität im Straßenverkehr. Auf dem Fahrrad fühle ich mich wesentlich sicherer als in Deutschland.

Und womit kommen Sie überhaupt nicht zurecht?

Oftmals finden die Chinesen es ganz interessant, sich vor den Ausländern zu drängeln. Schlangen gibt es sowieso recht wenig, aber gerade wenn da ein Ausländer ist, finden sie es besonders spannend, sich vor diesen hineinzuquetschen. Das regt mich immer auf und ich sage ihnen dann ganz brav und ruhig auf Chinesisch, dass sie sich doch bitte hinten anstellen sollen. Aber manchmal empfinden sie es dann nur noch mehr als Ansporn, sich vor mir reinzudrängeln.

Auf welche Weise hat Sie das Leben hier in dieser Stadt, in China verändert, beeinflusst, was bedeutet China heute für Sie?

Ich bin ruhiger geworden. In Deutschland pocht man viel auf sein Recht. Auch wenn es im Endeffekt nur etwas Kleines ist, möchte man aus Prinzip dem anderen zeigen, das ist mein Recht. Hier ist das eher egal. Man macht es so oder so. Und wenn nicht, findet man eine andere Lösung. Das Pragmatische macht einen irgendwie ein bisschen ruhiger und gelassener. Es gibt dieses „wu suo wei" ,"cha bu duo". Das sind so die kleinen Dinge, bei denen man denkt, dass man sich jetzt nicht groß aufregen sollte. Ich bin sicherlich im Vergleich zu früher viel ruhiger geworden. Wobei ich mich immer wieder dabei ertappe, dass ich anderen versuche zu zeigen, was mein Recht ist.

Und, wie lange wollen Sie bleiben? Schon Rückflugticket gebucht?

Auf keinen Fall. Nicht, dass ich nicht nach Deutschland zurück wollte. Aber es steht noch kein Plan. Ich hab hier vor fast vier Jahren meine Firma gegründet. Wir sind immer noch in der Wachstumsphase und das ist super spannend. Jeden Tag ändert sich etwas, jeder Monat ist deshalb komplett anders. Mal schauen, wieviele Jahre das Geschäft stabil bleibt. Ich habe also bisher kein Rückflugticket. Ich denke, ich werde noch fünf oder auch zehn Jahre bleiben.

Protokoll: Susan Blomberg

Photos: Privat

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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