Wir über uns Kontakt Jobs Fragen? Archiv
Wohin des Weges? – Chinas Wanderarbeiter denken um
  2012-02-20 10:42:47  cri
 

Der Mangel an Arbeitskräften ist schon seit einigen Jahren ein chronisches Problem im Yangtse- und Perlfluss-Delta. In diesem Jahr wird sich das Problem vermutlich noch weiter verschärfen. Denn immer mehr Wanderarbeiter kehren nach dem Frühlingsfest nicht mehr an ihre Arbeitsplätze in den Fabriken zurück. Sie ziehen es zunehmend vor, in der Nähe ihrer Familien zu arbeiten.

Vor dem diesjährigen Frühlingsfest haben das Arbeitsamt und das Amt für Sozialhilfe der Stadt Guangzhou gemeinsam eine Umfrage in über 40 Firmen durchgeführt. Daraus geht hervor, dass die Bereitschaft der Wanderarbeiter, nach den Feiertagen wieder an ihre Arbeitsplätze in den Fabriken zurückzukehren, weiter abgenommen hat.

Für viele Chinesen ist das Frühlingsfest eine der wenigen Möglichkeiten, ihre Familien zu besuchen. In den letzten Jahren sind durchschnittlich rund 60 Prozent der über dreieinhalb Millionen Wanderarbeiter von Guangzhou übers Frühlingsfest nach Hause zu ihren Familien gegangen. Etwa 95 Prozent dieser Wanderarbeiter kehrte in der Regel nach dem Frühlingsfest wieder an ihre Arbeitsplätze in der Stadt am Perlfluss zurück.

Wie andere Zentren der herstellenden Industrie in China hatte auch Guangzhou in den letzten Jahren mit einem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Allein im ersten Halbjahr 2011 boten die Unternehmen in Guangzhou 1,28 Millionen offene Stellen an. Allerdings suchten lediglich 1,01 Millionen eine neue Stelle.

Ma Qiangjun kommt aus der Provinz Gansu im Nordwesten Chinas. Der 26-Jährige spielt mit dem Gedanken, nach dem Frühlingsfest in seiner Heimat zu bleiben:

„In meiner Heimatstadt gibt es Arbeit. Tatsächlich ist es besser, dort nach einer Stelle zu suchen. Die Lebenskosten in Guangzhou sind zu hoch. Du verdienst vielleicht 3.000 oder 4000 Yuan pro Monat. Nach den Abzügen für Unterkunft und Essen bleibt aber fast nichts mehr übrig."

Die Behörden und Arbeitgeber sind sich dieser Problematik bewusst. In Guangdong und einigen anderen Provinzen an der Ostküste ködern Firmen Abwanderungswillige mit höheren Löhnen und besseren Sozialleistungen. Die Regierung der Stadt Shenzhen kündigte zu Jahresbeginn an, den monatlichen Mindestlohn nach dem Frühlingsfest um 13,6 Prozent zu erhöhen.

Trotzdem haben die Fabriken große Mühe, das notwendige Personal zu finden. Bescheidene Gehaltserhöhungen würden an diesem Problem nur wenig ändern, meint ein Manager einer Schuhfabrik in Dongguan:

„Die Warenpreise sind sehr stark gestiegen, und ein Monatslohn von 2.000 Yuan ist für Dongguan sehr bescheiden." 

In Produktionszentren wie Guangdong ist es gang und gäbe, dass die Fabriken bereits an den Bahnhöfen nach neuem Personal Ausschau halten. In diesem Jahr hingegen ist das Rekrutierungsgeschäft vor dem Hauptbahnhof von Guangzhou praktisch inexistent. Viele Manager müssen an anderen Orten nach Arbeitskräften suchen.

Nicht wenige fragen sich sogar, ob Chinas traditionelle Produktionszentren ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht bereits schon verloren haben? Zhao Bin ist der Direktor der Jobbörse in der Stadt Zhongshan. Er macht die Inflation für den gegenwärtigen Arbeitskräftemangel in den industrialisierten Küstenregionen Chinas verantwortlich:

„Wenn Wanderarbeiter nach Hause zurückkehren, stellen sie fest, dass sich ihre Heimatstädte stark entwickelt haben und die Jobaussichten dort sehr viel versprechend sind. Die Löhne an der Ostküste können bis zu 20 Prozent höher sein als die Löhne in den Provinzen in Zentral- oder Westchina. Diese verhältnismäßig hohen Löhne waren für Wanderarbeiter über lange Zeit hinweg sehr attraktiv. Seit einiger Zeit jedoch ist dieser Lohnunterschied nicht mehr so attraktiv, weil die Lebenskosten an der Ostküste wegen der Inflation stark gestiegen sind."

Ein weiteres Problem ist laut Zhao Bin der wachsende Widerwille der Wanderarbeiter, ihre Familien und Kinder über längere Zeit hinweg alleine zurück zu lassen. So wie dieser Wanderarbeiter aus der zentralchinesischen Provinz Henan denken heute viele:

„Heutzutage gibt es auch in Henan viele Fabrikjobs. Meine Eltern sind alt und benötigen meine Hilfe: die Kinder erreichen bald das schulpflichtige Alter. Aus diesem Grund habe ich mich in diesem Jahr entschieden, zu Hause zu bleiben statt auswärts nach einem Job zu suchen. Eventuell werde ich versuchen, einen Fabrikjob in der näheren Umgebung zu finden, vielleicht werde ich aber auch ein kleines Geschäft eröffnen, um besser für meine Familie sorgen zu können."

Arbeitsexperten sind sich noch uneinig darüber, ob der gegenwärtige Arbeitskräftemangel und die fortwährenden Veränderungen in der Gesetzgebung für Wanderarbeiter neue Chancen eröffnen oder die Krise noch weiter verschärfen.

Einige Gelehrte halten den derzeitigen Arbeitskräftemangel für ein Phänomen, das noch lange anhalten wird. Sie gehen davon aus, dass sich dieser Mangel in den nächsten Jahren noch weiter zuspitzen wird, da die Küstenprovinzen noch härter mit den Binnenprovinzen um Arbeitskräfte konkurrieren werden. Erschwerend kommt ihrer Meinung nach hinzu, dass Chinas Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter schon fast ihren Höhepunkt erreicht hat, und damit der demographische Vorteil langfristig wegfällt.

Es gibt aber auch Stimmen, die von einem langfristigen Arbeitskräftemangel nichts wissen wollen. Befürworter dieser Theorie wie Yin Weimin, Chinas Minister für Personales und Soziales, vertreten die Ansicht, dass das Angebot an Arbeitskräften in China noch immer zunimmt. Für sie ist der gegenwärtige Arbeitskräftemangel in erster Linie ein strukturelles Problem:

„In einigen Landesteilen gibt es zwar einen Mangel an Arbeitskräften. Im Allgemeinen jedoch haben die Firmen mit einem Mangel an jungen Wanderarbeitern zu kämpfen – Wanderarbeiter, die noch nie so mobil waren wie heute und sich daher häufiger nach besseren Angeboten umsehen. Dazu gibt es gleichzeitig weniger Jobs für ältere Wanderarbeiter. Auch Universitätsabgänger haben es schwer, eine passende Stelle zu finden."

Minister Yin sieht im Mangel an Arbeitskräften aber auch eine gute Chance, Chinas industrielle Struktur zu modernisieren. Heute sei es wichtiger als jemals zuvor, dass die Unternehmen von einer arbeitsintensiven Produktion mit wenig ausgebildeten Angestellten abrücken und stattdessen einen hoch technologisierten und differenzierteren Ansatz wählen, so Chinas Minister für Personales und Soziales.

Minister Yin glaubt auch, dass Chinas Wirtschaft von der anhaltenden Urbanisierung profitieren wird. In Zukunft würden sich immer mehr Wanderarbeiter vom Lande dauerhaft in den Großstädten niederlassen, um so nicht ständig zwischen ihrer Fabrik und ihrem Heimatort hin und her pendeln zu müssen.

Offiziellen Angaben zufolge gibt es in China derzeit 145 Millionen Wanderarbeiter. Fast 60 Prozent davon wurden nach 1980 geboren. Die Zentralregierung hat auf die veränderte Situation reagiert und einen Maßnahmenkatalog verabschiedet, der den Wanderarbeitern die Integration in den Städten erleichtern soll:

„Die Regierung ist dabei, den Zugang für Wanderarbeiter zu öffentlichen Dienstleistungen und Sozialhilfe zu verbessern, ihnen mehr gratis Ausbildungskurse anzubieten und das Haushaltsregistrierungssystem zu reformieren. Und das Wichtigste, für Kinder von Wanderarbeitern in den Städten die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen."

Ob diese neuen Maßnahmen auch tatsächlich greifen, wird sich spätestens nach dem Frühlingsfest 2013 zeigen, wenn Millionen von Wanderarbeitern wieder an ihre Arbeitsplätze in den Großstädten an Chinas Ostküste zurückkehren sollten.

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
Meistgelesene Artikel
• Keine Lebenszeichen vom gesunkenen indischen U-Boot
• Snowdens Vater erhält Visum für Russland
• Getötete Chinesen: Afghanistan bekundet Beileid
• Vermittlungsversuche in Ägypten gescheitert
• Gipfel abgesagt: Russland enttäuscht von USA
Fotos
Luxusausstellung 2013 in Beijing eröffnet
Fotoausstellung „Chinesischer Traum - Schönes China" in Brüssel
Wiederaufbau neuer Wohnhäuser nach Erdbeben in Min
Lujiagou: Ein neues Wohngebiet mit günstigen Lebens- und Verkehrsbedingungen
© China Radio International.CRI. All Rights Reserved.
16A Shijingshan Road, Beijing, China