Zhuxian liegt eine halbe Autostunde von der ehemaligen Kaiserstadt Kaifeng entfernt. Das kleine Städtchen gilt in China als Heimat des Neujahrsbildes. Viele Familien leben hier von Neujahrsbildern, die sie mit Hilfe eines traditionellen Holzdruckverfahrens herstellen.
Im Innenhof eines typischen Ziegelsteinhauses sitzt ein junger Mann an einem viereckigen Tisch. Mit einem Messer beschnitzt er gerade ein Stück Holz, das so groß ist wie ein Buch.
„Mein Name ist Zhang Tianyun. Ich bin 23 Jahre alt. Das Verfahren des Holzdruckes wird von Generation zu Generation weitergegeben."
Zhang Tianyun hat die Holzschnittkunst von seinem Vater Zhang Tingxu gelernt. Eine Kunstschule hat er nie besucht. Sein Vater besitzt ein Zertifikat der Lokalregierung, das ihn offiziell als Holzschnitzkünstler ausweist. Die ganze Familie lebt von der Herstellung von Neujahrsbildern.
Ein Holzdruck wird verkürzt gesagt in zwei Schritten angefertigt. In einem ersten Schritt wird ein Bild auf ein Stück Holz geritzt. Danach wird der Holzschnitt mit Farbe betüncht und wie ein Stempel auf ein Stück Papier gedrückt. So einfach das klingt, ist es allerdings nicht. Es braucht jahrelange Erfahrung bis man die Kunst so perfekt beherrscht wie Zhang Tingxu:
„Der schwierigste Teil ist das Beschnitzen der einzelnen Holzblöcke. Jeder Holzblock kann nur mit einer einzigen Farbe versehen werden. Für ein neunfarbiges Neujahrsbild benötigen wir daher neun verschiedene Holzblöcke. Selbst das einfachste Neujahrsbild besteht aus fünf Farben."
Für das Beschnitzen eines einzelnen Holzblocks braucht Zhang Tingxu mindestens vier Tage. Fehler darf er sich dabei keine erlauben. Falls er trotzdem einen macht, muss er mit dem Schnitzen wieder ganz von vorne anfangen. Sobald ein Holzblock fertig ist, kann Zhang mit dem Drucken beginnen – eine Farbe nach der anderen.
In einem Innenraum bedruckt die Schwiegertochter von Zhang Tingxu gerade einen Stapel von Neujahrsbildern mit einem Holzschnitt, der einen wohlgenährten Knaben zeigt. Ein Motiv, das in China für Glück steht. Die Farben schwarz und rot sind bereits auf dem Neujahrsbild zu sehen. Zhang Tingxu fügt dem Neujahrsbild die dritte Farbe zu: grün.
Die Menschen in Zhuxian begannen mit der Herstellung von Neujahrsbildern in der Song-Dynastie vor 800 Jahren. Heute gehören ihre Neujahrsbilder zu den vier bekanntesten in ganz China. Zhang Tingxu erklärt uns, was die Neujahrsbilder aus Zhuxian so unverwechselbar macht:
„Typisch für Neujahrsbilder aus Zhuxian sind dicke und wilde Linien. Ihre Motive sind einfach verständlich und werden übertrieben dargestellt. Sie reichen von Heldenfiguren über Gottheiten bis hin zu bekannten Theaterlegenden und glückverheißenden Figuren."
Die Handwerkskunst aus Zhuxian hat in ihrer langen Geschichte viele Höhen und Tiefen erlebt. Den jüngsten Rückschlag erlitt sie während der Kulturrevolution. Von 1966 bis 1976 wurde den Künstlern nahegelegt, auf die Herstellung von Neujahrsbildern zu verzichten. Die Folgen der Kulturrevolution seien auch heute noch immer nicht ganz verschwunden, sagt Zhang Tianyun:
„Im Jahr 2003 gab es nur gerade zwei Familien im Dorf, die sich noch mit der Holzschnittkunst beschäftigten. Dank der Förderung durch die Lokalregierung sind es inzwischen wieder sechs bis sieben Familien."
Der Vater von Zhang Tianyun hat die Holzschnittkunst nicht nur seinen Kindern beigebracht, sondern auch zahlreichen Studenten der Pädagogischen Universität Henan:
„Ich bin Teilzeit-Professor an der Pädagogischen Universität Henan. Ich unterrichte die dortigen Kunststudenten jedes Jahr vier bis fünf Tage lang in der Herstellung von Holzschnitten für Neujahrsbilder."
Heutzutage kaufen die Leute in der Regel massenproduzierte Neujahrsbilder aus der Fabrik. Die handgefertigten und daher etwas teureren Neujahrsbilder werden höchstens noch von den Einheimischen und Sammlern gekauft.
Ein kleines Neujahrsbild gibt's in Zhuxian bereits für fünf Yuan RMB. Und auch ein großes Wandbild ist mit umgerechnet etwa 22 Euro noch immer ein Schnäppchen. Ein wahrhaft guter Preis für ein Geschenk, oder finden Sie etwa nicht?
Übersetzt von: Zheng An
Gesprochen von: Zhu Liwen