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Zhengding – Wo Buddhas getötet und Stars geboren werden
  2011-11-29 10:45:58  cri

Gemäß „Lonely Planet" ist Zhengding „ein appetitanregendes Stück altes China". „Ein Leckerbissen unbekannter chinesischer Geschichte" wäre jedoch eine passendere Bezeichnung für die Kleinstadt in Hebei.

Ein Kamel, das vor den Zinnen einer „mittelalterlichen" Burg in der Sonne döst, ist selbst für chinesische Verhältnisse etwas nicht ganz Alltägliches. Noch skurriler aber ist die Geschichte der Seidenstraße, die im dunklen Burginnern erzählt wird. Auf seinem Weg von China nach Europa trifft der Besucher kurz vor Istanbul zu seinem großen Erstaunen plötzlich auf Adam und Eva, die gerade dabei sind, einen Apfel vom verbotenen Baum zu stehlen. Für diese Sünde bezahlen zu müssen scheint Spartakus. Anders ist nicht zu erklären, warum der Kampf des legendären Gladiators gegen wilde Löwen im Kolosseum in Rom den Abschluss dieser wirren Geschichte bildet.

 

Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, für den Rundgang durch die kitschige Burg wie an der Kasse empfohlen zusätzlich zum Eintrittspreis einen Guide für 80 RMB zu engagieren. Was Adam und Eva mit Spartakus zu tun haben, geschweige denn mit der Seidenstraße, hätte aber auch er wohl nur schwerlich erklären können.

Ein noch größeres Rätsel ist, was eine solche Touristenfalle ausgerechnet an einem Ort zu suchen hat, der wegen seinen glanzvollen Bauten einst ehrfürchtig „Stadt der neun Gebäude, vier Pagoden, acht großen Tempel und 24 goldenen Torbögen" genannt wurde. Die Rede ist von Zhengding, einem historischen Kleinod in der Provinz Hebei, 260 Kilometer südlich von Beijing. Nicht weniger kurios als die „Seidenstraßen-Burg" ist die Tatsache, dass die Kleinstadt heute nur den wenigsten Chinesen ein Begriff ist.

Dabei wurde hier im Schatten der altehrwürdigen Tempel und Pagoden schon einer der berühmtesten Klassiker der chinesischen Literatur verfilmt: „Der Traum der Roten Kammer". Für die gleichnamige 36-teilige Fernsehserie aus dem Jahr 1986 über den Aufstieg und Fall einer Aristokratenfamilie wurde in Zhengding anhand der Beschreibungen aus dem Roman von Cao Xueqin ein Adelsgut im Stil der Qing-Zeit (1644-1911) detailgetreu nachgebaut.

 

Das sogenannte „Rong Mansion" mit seinen über 200 Räumen hat seither schon so vielen Filmen als Kulisse gedient, dass der Betreiber des darin untergebrachten Museums es nicht ganz unbescheiden als „Chinas Hollywood" vermarktet.

„Welch reizender Ort!", schwärmt Jia Baoyu, die verwöhnte und etwas weltfremde Hauptfigur des Romans „Der Traum der Roten Kammer", in einer der vielen Traumszenen. „Hier würde ich gern mein Leben lang bleiben, auch wenn ich mich deswegen von der Familie trennen müsste. Das wäre doch besser, als Tag für Tag von den Eltern und Lehrern Schläge zu bekommen!"

Im Linji-Tempel, nur unweit vom „Rong Mansion" entfernt, wäre der Traum von Jia Baoyu im 9. Jahrhundert mit Sicherheit nicht in Erfüllung gegangen. Unter der strengen Ägide von Linji Yixuan, einem exzentrischen Mönch des Zen-Buddhismus, gehörten Schläge nämlich zum festen Bestandteil der Ausbildung. Schülern, die seine Fragen nicht ohne Umschweife beantworten konnten, soll Meister Linji mit Stockschlägen auf die Sprünge geholfen haben. Von ihm stammt auch das nicht ganz wörtlich zu nehmende Zitat: „Wenn ihr Buddha trefft, tötet Buddha. (...) Dann erlangt ihr zum ersten Mal Befreiung, werdet nicht mehr von Dingen gefesselt und durchdringt alles frei."

Der Linji-Tempel ist einer der wenigen Tempel Zhengdings, in denen auch heute noch Mönche leben. In den meisten anderen Tempeln erinnern nur noch vereinzelte Gebäude an die einstige religiöse Blütezeit. Ein Großteil der historischen Bausubstanz ist entweder dem Zahn der Zeit oder der Kulturrevolution zum Opfer gefallen.

Eine Ausnahme bilden die vier Pagoden im Zentrum. Sie zählen auch über tausend Jahre nach ihrer Erbauung noch immer zu den höchsten Gebäuden der Stadt. Höher sind fast nur die neuen Wohnblocks am nördlichen Stadtrand. Ganz anders als im benachbarten Shijiazhuang ist in Zhengding noch kein Modernisierungswahn ausgebrochen.

Die Chengling-Pagode im Linji-Tempel aus dem Jahre 540 ist die älteste Pagode der Stadt. Zum Vergleich: Xi'ans Wahrzeichen, die 54 Meter hohe Große Wildganspagode, wurde erst hundert Jahre später gebaut. Höhenmäßig kann ihr allerdings keine der Zhengdinger Pagoden das Wasser reichen. Noch am nächsten kommt ihr mit 48 Metern die Xumi-Pagode.

  

Jede der vier Pagoden in Zhengding hat ihre ganz eigene Architektur. Am exotischsten ist zweifellos die Hua-Pagode aus der Tang-Dynastie (618-907). Der im indischen Stil gehaltene Sakralbau mit seinen aus weißem Stein geschnitzten Elefanten, Löwen, Riesen und anderen Fabelwesen unmittelbar unterhalb der Spitze ist für China höchst ungewöhnlich.

Gar ein absolutes Unikat ist der im Juni 2000 in einer Straße Zhengdings ausgegrabene Bixi, eine Mischung aus Schildkröte und Drachen. Der seit seiner Ausgrabung im Kaiyuan-Tempel stehende 100-Tonnen-Koloss ist der größte seiner Art in China. Ursprünglich trug er den Gedenkstein eines hohen Beamten aus dem 10. Jahrhundert auf seinem Rücken.  

Noch eine Nummer größer ist die Buddha-Statue im Longxing-Tempel aus dem Jahr 975. Die über 21 Meter hohe Guanyin gilt als Chinas größte Buddha-Statue aus Bronze und gehört zu den „vier Schätzen" der Provinz Hebei. Mit der Anfertigung dieses Giganten sollen dreitausend Arbeiter vier Jahre lang beschäftigt gewesen sein.

Nicht viel weniger Menschen finden sich jeweils am Abend auf dem Zilong-Platz im Stadtzentrum ein, um vor einer mächtigen Statue von Zhao Yun, dem berümtesten Sohn von Zhengding, zu tanzen, musizieren, die Peitsche zu schwingen oder einfach zu schwatzen.

Der legendäre „Tigergeneral" aus der Zeit der Drei Reiche (208–280) ist in China auch heute noch ein Symbol für Tapferkeit und Loyalität. Seine Heldentaten leben in Form von Erzählungen, Computerspielen oder Spielfiguren für Kinder weiter.

In Zhengding hat man Zhao Yun gleich mehrere Denkmäler gesetzt: ihm zu Ehren wurde nicht nur ein Platz benannt und mehrere Statuen errichtet, sondern gleich ein ganzer Tempel geweiht. „In Chinas Geschichte war niemand überragender als er", steht auf einer Tafel am Eingang zur Haupthalle des Tempels.

Diese kühne Behauptung wird von einem riesigen Wandbild im Innern der Halle untermauert, das den „Champion-General" in der Schlacht von Changban bei seinem größten Husarenstück zeigt. Während sich Zhao Yun auf seinem Schimmel in Winkelriedscher Manier durch die feindlichen Linien kämpft, schläft der Sohn seines Befehlshabers Liu Bei, den er eben aus den Händen des Feindes befreit hat, friedlich unter seinem Brustpanzer.

Wer an den bewaffneten „Buschmännern" vorbei zur Halle mit dem Altar von Zhao Yun läuft, der wird einst so außergewöhnlich werden wie der berühmte General, verspricht ein Hinweisschild am Anfang der Allee. Was sich im ersten Moment völlig unglaubwürdig anhört, erscheint bei genauerem Überlegen aber als gar nicht so abwägig. Schließlich befindet sich nur einen Steinwurf vom Zhao Yun-Tempel entfernt das Trainingszentrum der chinesischen Tischtennis-Nationalmannschaft.

Der Geist von Zhao Yun als Erfolgsgeheimnis von Chinas Ping Pong-Stars? Ein Blick ins Innere der Trainingshalle, wo schon mehrere Olympiasieger und Weltmeister ihren letzten Schliff erhalten haben, lässt eher vermuten, dass hinter der Dominanz der chinesischen Tischtennis-Cracks in erster Linie ganz einfach harte Arbeit steckt.

Seit 1992 bereitet sich hier die chinesische Nationalmannschaft auf Großanlässe wie Olympia und Weltmeisterschaften vor. Ganz offensichtlich mit Riesenerfolg. In Anlehnung an ihre regelmäßige Medaillenhamsterei an internationalen Turnieren wird ihr Trainingszentrum auch als „Wiege der Weltmeister" bezeichnet.

Leider ist noch niemandem in den Sinn gekommen, in Zhengding ein Museum über die Geschichte des Tischtennis-Sports oder die Erfolge der chinesischen Nationalmannschaft einzurichten. Als Ort hierfür bestens geeignet wäre die „Burg", in der Adam und Eva ihr Unwesen treiben. Die beiden hätten mit Bestimmtheit nichts gegen eine neuerliche Vertreibung einzuwenden, wenn sie Zhengding so zu mehr Bekanntheit verhelfen könnten. Und selbst Gott dürfte keine Einwände haben, liess er doch schon ungestraft zu, dass in Zhengding Buddha „getötet" wurde.

Reisetipps:

Zhengding (正定) erreichen Sie am einfachsten mit der Buslinie 31 von Shijiazhuang (石家庄) aus. Die Bushaltestelle befindet sich unmittelbar am nördlichen Ende des Bahnhofvorplatzes (Shijiazhuang Zhan, 石家庄站). Die Fahrt dauert rund 45 Minuten und kostet zwei Yuan RMB. Aussteigen müssen Sie an der Endstation.

Um die im Text beschriebenen Sehenswürdigkeiten in aller Ruhe besichtigen zu können, sollten Sie zwei Tage einplanen.

Zhengdings Hauptattraktionen liegen nicht allzu weit auseinander, lassen sich also allesamt bequem zu Fuß erkunden.

Ein Doppelzimmer ohne WC und fließend Wasser gibt's bereits ab 60 Yuan RMB.

Wer Kontakt mit den Einheimischen sucht, begibt sich am besten abends gegen halb acht auf den Zilong-Platz im Stadtzentrum. Der Rest ergibt sich von alleine. Wer keine politischen Fragen mag, sollte sich nicht unbedingt als Amerikaner ausgeben.

Falls Sie der Wachmann am Betreten des Nationalen Tischtennis-Zentrums behindern sollte, dann sagen Sie ihm einfach, dass Sie im Hotel des Zentrums ein Zimmer gebucht haben.

Viel Spaß in Zhengding!

Text und Fotos: Simon Gisler

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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