Wir haben uns für „Endstationen Beijing" aufgemacht ins Niemandsland, zu den letzten Haltestellen der Beijinger U-Bahn, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Den Anfang macht der ehemalige Endhafen des Kaiserkanals – Tongzhou
Foto: Stephanie Karraß
Foto: Stephanie Karraß
„Was macht ihr denn auf dieser Müllkippe?" Der Fahrer des Schwarz-Taxis macht keinen Hehl daraus, was er von seinem Heimatbezirk hält. Wir sind in Tongzhou, im Osten von Beijing. Tuqiao ist die letzte Station der Ba-Tong-Linie, einer Verlängerung der Linie 1. Sie liegt am Ende des urbanen Teils von Tongzhou.
Der Vorort von Beijing heißt wörtlich übersetzt „Durchgangsland". Den Namen verdankt er seiner Lage am Ende des Großen Kanals, der zur Kaiserzeit die Hauptstadt mit den wohlhabenden Gebieten im Yangtse-Delta im Süden des Landes verband. Nachdem die Mongolen Dadu, das heutige Beijing, zu ihrer Hauptstadt gemacht hatten, wurden die bereits bestehenden Abschnitte des Kaiserkanals bis in den Norden durchgängig schiffbar gemacht. Doch endete die Route kurz vor den Toren der „Nördlichen Hauptstadt". Hier wurden die Waren von den Schiffen umgeladen und auf dem Landweg nach Beijing gebracht. Im 19. Jahrhundert verlor der Kaiserkanal allmählich an Bedeutung, er fiel Naturkatastrophen und den Transportmitteln der Moderne zum Opfer.
Das verschlafene Örtchen Zhangjiawan erreicht man von der U-Bahnstation Tuqiao aus in zehn Minuten mit dem Taxi. Früher war Zhangjiawan von einer imposanten Mauer umgeben, über die alte Steinbrücke wurden Getreide, Reis und Gemüse aus Südchina auf die Fuhren in Richtung Hauptstadt verladen.
Foto: Jörg Pensin
Die alte Brücke und einen Teil der Stadtmauer hat man zwar vor einigen Jahren restauriert und unter Denkmalschutz gestellt, doch liegen sie verlassen und vergessen am Rande des Dorfes. Geschichte ist weder Kulisse noch Schmuckwerk, sondern spielt im alltäglichen Leben der Dorfbewohner eigentlich keine Rolle. Die Relikte aus der Vergangenheit interessieren kaum einen und nur wenige Touristen verirren sich in diese Gegend.
Foto: Jörg Pensin
Foto: Stephanie Karraß
Foto: Jörg Pensin
Heute ist Zhangjiawan ein Dorf wie viele andere in China. Einstöckige Häuser, in denen sich Haushaltswaren-Geschäfte und einfache Restaurants befinden, säumen die Hauptstraße. Es brausen Autos, Dreirad-Motorräder, Mofas und Fahrräder vorbei.
Foto: Stephanie Karraß
Foto: Stephanie Karraß
Auch eine weitere Besonderheit von Zhangjiawang fällt nicht sofort ins Auge. Mehr als die Hälfte der Einwohner sind Hui – chinesische Muslime. Doch anders als in der bekannten Niu Jie, der Ochsen-Straße in Beijing, wirbt kaum ein Restaurant mit Halal-Essen und man sieht auch niemanden mit weißen Mützen, die in China typisch für gläubige Muslime sind.
Foto: Stephanie Karraß
Foto: Jörg Pensin
Foto:Jörg Pensin
Foto: Jörg Pensin
Foto: Jörg Pensin
Die im traditionellen chinesischen Stil gehaltene Moschee von Zhangjiawang ist liebevoll restauriert und der Ahong, also Imam, nimmt sich gerne Zeit, um mit Besuchern zu plaudern. Die fünf Säulen des Islams sind schnell erklärt und was die Glaubensstrenge angeht, ist man hier eher pragmatisch veranlagt. So würde er sich zwar zum Beispiel selbst an das Fastengebot während des Ramadan halten, aber die meisten Glaubensgenossen können es gar nicht, da sie jeden Tag arbeiten müssten und ansonsten darunter zu leiden hätten. Man sei hier schließlich nicht in Arabien, fügt der Geistliche jovial hinzu.
Foto: Jörg Pensin
Der Geschichte wird an einem anderen Ort ein Denkmal gesetzt. Mit dem „Kanal-Kulturpark" sollen Touristen nach Tongzhou gelockt werden. Heute ist das riesengroße Gelände ein wohlgepflegter Park mit breiten Wegen, gläsernen Türmen in Segelform und dem Nachbau eines Schiffes aus der glorreichen Vergangenheit.
Foto: Jörg Pensin
Auf dem Boden liegende Betonreliefs illustrieren die Geschichte des Kanals und stellen die einzelnen Stationen von Hangzhou bis zur Hauptstadt vor.
Foto: Jörg Pensin
Foto: Jörg Pensin
Doch trotz des für Beijinger Verhältnisse guten Wetters verirren sich nur wenige Besucher in die Parkanlage. Die meisten stehen wohl gerade dichtgedrängt in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause.
Foto: Stephanie Karraß
Irgendwo zwischen dem neuen Park und den neuen Hochhäusern treffen sich noch ein Paar alte Männer, um selbstgemachte Drachen steigen zu lassen.
Foto: Stephanie Karraß
Sie sind bereits pensioniert und haben Hund und Enkel mitgenommen, um in den Nachmittagsstunden zusammen zu plaudern und mit ihren Papiervögeln anzugeben.
Foto: Stephanie Karraß
Foto: Stephanie Karraß
Der für die angeblich gläserne Zukunft Tongzhous freigeräumte Acker sei für diesen Zweck ideal, meinen sie. Allzu viel Auswahl gebe es sonst eh nicht und in dem großen Kanalpark störten die ganzen Bäume nur den freien Flug der Drachen. Natürlich wäre es besser in Beijing zu wohnen, doch Tongzhou sei eigentlich auch okay und solange man noch Platz habe, seinem Hobby nachzugehen, könne man sowieso über nichts klagen.
Tongzhou – das Durchgangsland