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Menschen auf Ostkurs - 10 Fragen an Sven Passarge
  2011-08-30 10:23:45  cri

Leben und Arbeiten in China: Erleben Sie die Volksrepublik und im Besonderen die chinesische Hauptstadt Beijing durch ihre ausländischen Bewohner. Heute hat Marie Bollrich zehn Fragen an Sven Passarge. Der 37-Jährige Chef von Passarge Consulting und Krummenauer Mining China lebt seit 2007 dauerhaft mit seiner chinesischen Frau und dem gemeinsamen Sohn in Beijing.

Wo kommen Sie ursprünglich her und wie und wann sind Sie auf China gekommen?

Geboren in Gotha, dort einige Monate verbracht und von dort ging es gleich nach Peking und zwar mit meinem Vater 1974, der im diplomatischen Dienst der Botschaft der Deutschen Demokratischen Republik gearbeitet hat und für zwei Jahre in dieses Land gesandt wurde, und wir dann einen Aufenthalt von `74 bis `76 hatten. 1976 ging es dann wieder zurück nach Deutschland, also in die DDR, aufgrund des Erdbebens in Tangshan. Dann mit China Null – mein Vater war regelmäßig im diplomatischen Dienst unterwegs bis zum Tag X, also sprich des Mauerfalls, und dann wurden diese Stellen aufgelöst und somit war er nicht mehr aktiv. Ich selbst habe 1990 meine Lehre begonnen als Kaufmann für Bürokommunikation und Marketing und habe dann im Bundesvermögensamt, ein Ableger der Treuhandanstalt, ein Jahr gearbeitet und die Arbeit dann abgebrochen. Den ganzen Tag im Büro sitzen, ist nicht unbedingt das, was man so wollte. Daraufhin ging es weiter – leichter Karriereknick – in einer Reinigungsfirma als professioneller Fensterputzer. Das hatte einfach den Hintergrund, dass einige Freunde dort gearbeitet haben und gutes Geld verdient haben – wesentlich mehr, als der kaufmännische Beruf hergegeben hätte. Seit 1995 bin ich selbstständig und habe bis heute keine Festanstellung mehr in einem Unternehmen angenommen. Ich hatte einen Großkunden, ein Kino-Komplex, für den ich in meiner Reinigungsphase aktiv war. Das Geschäft mit der Reinigung lief relativ schlecht und somit kam ich dann in das Vergnügen, die Position des Geschäftsführers für ein Kino-Komplex zu übernehmen. Die Firma Dr. Passarge wurde am 1. April 2000 in Berlin gegründet und dort wurde ich von meinem Vater gefragt, ob ich nicht dabei sein möchte, ja oder nein. Da ich mich weiterentwickeln wollte, habe ich das erstmal als Teilzeit betrieben und wurde dann später Vertriebsmitarbeiter in unserem Berliner Büro. Und das habe ich getan bis zum 16. Juli 2007, wo ich dann zu einem Kurz-Trip nach China wollte, weil mein Vater erkrankt ist und es niemanden gab, der hier aufpassen konnte. Vorher habe ich mich nur um deutsche Kunden in Deutschland gekümmert und nicht um die Abwicklung in China. Es sollte eigentlich nur ein dreimonatiger Aufenthalt werden, aber da sich die Krankheit meines Vaters nicht verbessert hat, haben wir uns dafür entschieden, den Aufenthalt zu verlängern, auf ungewisse Zeit, und die ungewisse Zeit nimmt kein Ende.

China – das Reich der Mitte: Was hat das damals für Sie bedeutet, bevor Sie hier ankamen?

China war schon immer ein Thema für mich, als kleines Kind gab es immer das Wort „China" um mich. Zuhause wurde mit Stäbchen gegessen, es wurde chinesisch gekocht, es kamen chinesische Freunde von meinem Vater zu uns nach Hause, es war als Land nicht fremd. Aber das Ankommen hier für den längeren Aufenthalt 2007 bedeutete ja kompletter Neuanfang. Man kannte die ganzen Gegebenheiten, aber es war niemand da, der einem helfen konnte. Die Eltern waren in Deutschland und somit war ich hundert Prozent auf mich allein gestellt.

Erster Tag im neuen Land, können Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke erinnern? Wie war das?

Es war auf jeden Fall heiß, ein Koffer und ein Fahrer, der auf mich gewartet hat. Der wusste, wer ich bin, der wusste, wo ich hin soll und ich hatte den Schlüssel für die Wohnung und das war's. Die ersten Tage waren ein bisschen beängstigend, weil man sich nicht einmal ein Getränk selber kaufen konnte und sich alles aufschreiben lassen musste, weil sprachlich war man ja nicht einmal annähernd fit. Nicht einmal das Taxi-Fahren konnte man alleine managen. Das Gefühl war aber ein sehr Gutes, weil man gespürt hat, hier ist Bewegung drin, hier kann man Dinge erreichen, hier ist man hilfsbereit und somit habe ich das alles auf mich zukommen lassen.

Was genau machen Sie hier?

Wir als Unternehmen kümmern uns darum, Unternehmen beziehungsweise Unternehmer glücklich zu machen. Wir beschäftigen uns mit der Geschäftsentwicklung, wir kümmern uns darum, dass sie Kunden finden, dass sie Absatz für ihre Produkte finden, dass sie Einkaufen können – also wir nennen uns Problemlöser für kleine und große Probleme. Es gibt sicherlich Bereiche, die wir nicht abdecken können, aber dafür ziehen wir Partner ins Boot, die seit vielen Jahren mit uns zusammenarbeiten. Wir sehen uns als Starthelfer, wir helfen den Unternehmen, hier Fuß zu fassen, Laufen zu lernen.

Wie unterscheidet sich ein ganz normaler Arbeitstag in Beijing von einem Arbeitstag in Deutschland?

Im Vergleich zu meiner Arbeit in Deutschland: Dort hat man auch immer acht Stunden gearbeitet, aber die waren planbar. Es war klar, um neun beginnt die Arbeit und acht bis zehn Stunden später hört sie wieder auf. Viele Veränderungen gab es da nicht. Hier beginnt der Tag zwar ähnlich, aber die x-Faktoren sind hier mal hundert. Viele Dinge, die man geplant hat, auch ein, zwei Stunden vorher, verändern sich. Man kann davon ausgehen, dass der Tag, den man am Tag zuvor geplant hat, sich nicht so gestalten wird, weil viele Dinge hinzukommen, die man hier nicht beeinflussen kann. Ich kenne keinen Tag, wo das nicht passiert und wenn das nicht passiert, dann ist irgendetwas nicht in Ordnung.

Was ist Ihrer Meinung nach „typisch" für Beijing beziehungsweise „typisch" chinesisch?

Typisch chinesisch ist, dass um 12 Uhr die Arbeit fallen gelassen wird und Mittag begonnen wird und das ist nicht veränderbar. Wenn jemand vorhat, zwischen 12 und 13 Uhr wichtige Dinge zu beschließen oder Antworten von Kunden zu bekommen, wird er definitiv auf Granit beißen. Dieses Essen, sei es Frühstück, sei es Mittag, sei es Abendbrot, das bleibt immer fest. Das ist typisch China, egal ob Peking, Schanghai oder welche Stadt auch immer in diesem Land.

Welche Eigenschaft der Chinesen (oder einfach der Menschen hier), welche Gewohnheit würden Sie gern in Ihrer Heimat übernehmen?

Ich denke, das soll alles hier bleiben, ich werde es nicht übernehmen. Wir Deutschen sollen deutsch bleiben und Chinesen sollen chinesisch bleiben, und dort soll beziehungsweise kann einfach keine Mischung stattfinden. Da ich mit einer Chinesin verheiratet bin, weiß ich, dass die Mischung beider Kulturen sehr schwierig ist und mit vielen Dingen verbunden ist. Hier gibt es gewisse Annehmlichkeiten, die man sich für Deutschland gerne wünscht, aber die sicherlich kaum umsetzbar sind. Eine Mischung macht, denke ich, wenig Sinn oder wird vielleicht auch nicht verstanden.

Und womit kommen Sie überhaupt nicht zurecht?

Mit der absoluten Unsauberkeit, der nicht Planbarkeit, mit dem Wahnsinn, der tagtäglich geschieht und, dass hier einfach eine Anpassung nicht möglich ist. Man muss sich hier arrangieren, aber eine Anpassung ist gänzlich unmöglich. Auch wenn man hier viele Jahre lebt, muss man sich mit dem, was hier passiert, arrangieren, weil man es nicht umstricken kann. Es ist so, wie es ist.

Auf welche Weise hat Sie das Leben hier in dieser Stadt, in China verändert, beeinflusst, was bedeutet China heute für Sie?

China hat einen gelassener gemacht. Das braucht man einfach, um hier überhaupt erst einmal leben zu können, arbeiten zu können, Geschäfte zu machen. Man muss hier viel ruhiger, gelassener bleiben. Den Zeitfaktor muss man mal drei oder mal vier nehmen. Es dauert einfach viel länger, im privaten beziehungsweise im geschäftlichen Leben voranzukommen. Man lernt hier sehr viel. In meiner Zeit, ich befinde mich jetzt im fünften Jahr, habe ich, glaube ich, mehr erlebt, als in 20 Jahren Deutschland. Hier hat jeder eine Idee und hier gibt es ja viel mehr Menschen als in Deutschland und die Ideen werden hier umgesetzt, ob sie nun gut oder schlecht sind und daraus entsteht natürlich ein gewisses Chaos, dem man täglich ausgesetzt ist. Da bekommt man täglich Neues, worüber man schmunzeln kann oder Neues, worüber man sich ärgern könnte und das macht die ganze Sache hier so spannend.

Und, wie lange wollen Sie bleiben? Schon Rückflugticket gebucht?

Rückflugticket ist noch nicht gebucht, weil ich denke, dass es solche Tickets nicht gibt, die man auf unbestimmte Zeit verschieben kann. Es gab auch noch nicht den Moment, in dem man gesagt hat, jetzt will man hier weg. Man will mal einfach Pause machen, das ist richtig.

Der Lebensinhalt, privat wie beruflich, befindet sich in diesem Land und somit steht diese Frage erstmal noch nicht. Sollte man irgendwann die Arbeit niederlegen, weil es gesundheitlich nicht mehr geht oder weil man einfach den Sack voll hat, dann kann man sich sicherlich entscheiden, wo man sein Leben verbringen möchte. Ob Integration in Deutschland dann noch möglich ist, weiß ich nicht. Ich kenne viele, wo sich das sehr schwer gestaltet, wenn man viele Jahre oder Jahrzehnte hier im Land gelebt hat, weil einiges wegfällt und man sich dann auch wieder integrieren und anpassen muss. Und ob man das dann noch will, das weiß man nicht.

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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