Der Kaiser Qianlong musste zum dritten Mal nach Jiaxing kommen, um endlich die Sonne zu sehen. Das freudige Ereigniss hat er sofort in einem Gedicht festgehalten, das nach wie vor auf einer Steinstele zu besichtigen ist. Auch rund 300 Jahre später hat sich die Wetterlage anscheinend nicht besonders gebessert. Es gießt in Strömen über den Südlichen See von Jiaxing. Die kleine Stadt in Zhejiang ist rund 100 Kilometer von Shanghai entfernt.
Es ist die Heimatstadt der Zongzi, der leckeren Klebreisklößchen, die traditionell zum Drachenbootfest serviert werden. Aber auch zahlreiche berühmte Dichter und Intellekruelle nannten Jiaxing ihre Heimat.
Darunter waren auch mehrere Gründungsmitglieder der Kommunistischen Partei Chinas. Während des ersten Parteitags in Shanghai sollen die 13 Aktivisten einen merkwürdigen Besuch erhalten haben. Man wurde hellhörig und beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und die Stadt zu verlassen. Wang Huiwu, die Frau des Theoretikers Li Da, hat ihren Hematkreis Jiaxing als idealen Fluchtort vorgeschlagen. Man nahm den Zug und stieg in der malerischen Kleinstadt aus, die schon damals ein beliebter Ausflugsort für Städter war. Um nicht aufzufallen, haben die jungen Kommunisten ein Ausflugsboot gemietet, in dem schließlich die letzten Details des Parteiprogramms beschlossen wurden. Dann hat man wieder seine Sachen gepackt und ist zurück nach Shanghai gekehrt.
Heute ist der Nanhu von Jiaxing eine beliebtes Ziel für „rote Reisen". So nennt man im modernen China Touren, die an geschichtsträchtige Orte führen, die für die Kommunistische Bewegung von Bedeutung waren. Tausende Touristen drängen sich an der kleinen Insel, an der das Duplikat des Bootes steht, in dem Geschichte geschrieben wurde. Das Original ging in den Kriegswirren verloren. Junge Parteimitglieder schwören hier, die Prinzipien der Partei zu befolgen und Leute von außerhalb verbinden einen Spaziergang in der malerischen Landschaft mit gelebter Geschichte. Nur der Nieselregen von Jiaxing scheint sich seit der Zeit von Qianlong nicht geändert zu haben.
Jörg Pensin