War Goethe tatsächlich der Auffassung, dass Namen in der Gesellschaft einen weniger bedeutenden Stellenwert einnehmen oder behält Konfuzius recht mit seiner Annahme, dass die Richtigstellung der Namen das ist, worauf es ankommt?
Egal ob in Deutschland oder in China, Eltern sind stets darum bemüht, einen passenden, schönen und „guten" Namen für ihr Kind zu wählen. Aber welche Rolle spielen Namen im interkulturellen Kontext?
Da die chinesische Sprache Ausländern häufig große Anstrengung abverlangt und die Welt ja bekanntlich immer näher zusammenrückt, tragen zahlreiche Chinesen mittlerweile zusätzlich westliche Namen. Dabei wird dem „Laowei" nicht nur mit der Aussprache geholfen, die abendländischen Versionen beziehungsweise Kreationen prägen sich viel leichter ein als Xi Jing, Wu Shiyun oder Li Chongxin.
Beweggründe für die Namengebung gibt es viele. Chinesische Schulkinder beispielsweise erhalten in den ersten Englischunterrichtstunden häufig einen „englischen" Namen. Zum einen, um es der Lehrkraft leichter zu machen, zum anderen aber vielleicht auch, um sich mehr auf die fremde Sprache einzulassen. Dabei können sie sich, wenn sie nicht bereits eine eigene Idee haben, den Namen aus einer Liste aussuchen. Aus Nini, Xiaoma und Meng wird dann zum Beispiel Mary, Jack, Amanda, Danielle oder Mario.
Neben Schülern tragen vor allem die Erwachsenen ausländische Namen, die im Berufsleben und/oder in ihrer Freizeit häufig Kontakt mit Ausländern pflegen. So hat sich Marvin aus beruflichen Gründen für seinen Namen entschieden:
„Ich habe mal in einer ausländischen Firma gearbeitet. Dort hatte jeder einen englischen Namen. Ich habe mir diesen Namen gegeben, da Marvin in einem Film eine sehr interessante Rolle gespielt hat. Ich sehe mich selbst in ihm. Deshalb dieser Name."
Ria hat es ihren ausländischen Freunden einfacher machen wollen:
„Ria klingt wie mein chinesischer Vorname. Mein Vorname ist Rui und meine Mama nennt mich Rui´er. Ich wollte, dass mein chinesischer und englischer Name ähnlich klingen. So können ihn meine ausländischen Freunde leichter aussprechen."
Bei der Auswahl ihres „Waiguo Mingzi" können die Chinesen sehr kreativ sein. Einige haben den Namen vorher schon einmal gehört und fanden ihn einfach gut. Andere benennen sich nach berühmten Persönlichkeiten. Wieder andere mögen die Assoziation, die mit dem Namen einhergeht. Ein Mädchen, das sich Winnie nennt, denkt dabei bewusst an den gelben Bären, weil sie ihn süß findet und wohl selbst auch für süß befunden werden möchte. Kiwi hingegen ist Obstfan:
„Ich mag diese Frucht sehr, besonders die Farben. Obwohl sie haarig aussieht, zeigt sich nach dem Abschälen eine vitale Farbe. Ich denke, dieser Charakter ist meinem ähnlich. Die Frucht ist sehr interessant. Das Äußere ist anders als das Innere. Man muss auf mich eingehen, um mich richtig kennen zu lernen."
Auch Freunde, Partner oder Familienangehörige helfen bei der Namengebung. All diese Umstände erklären, warum man sich hier in China im Geschäftsleben manchmal wie im Märchenland vorkommt: Peter Pan, Dragon oder Cinderella könnten dann beispielsweise die chinesischen Businesspartner heißen. Aber auch äußerst kuriose Kreationen wie Rainie Lu sind nicht ungewöhnlich. Bei der Begegnung mit Rambo oder Sokrates steht am Ende allerdings ein großes Fragezeichen. Amber hatte auf der Suche nach einem passenden Namen ganz klare Vorstellungen:
„Da ich die Farbe mag. Das ist die Farbe des Bernsteins und des Inneren des Feuers. Ein guter Name also."
Einschränkungen in der Bedeutung gibt es offensichtlich keine, im Gegenteil, sie scheint wichtiger, als für jeden „Laowai".
„Der" trägt im Übrigen auch häufig einen chinesischen Namen. Denn wenn der Chinese viel mit Ausländern zu tun hat, gilt das natürlich auch umgekehrt. Wie der Name entsteht? In der Regel sind es chinesische Muttersprachler, die ihn auswählen beziehungsweise zusammensetzen. Dabei kommt es sowohl auf eine lautliche Anpassung als auch eine positive Bedeutung an. So wird Marie zum Beispiel zu Mali (玛丽), hauptsächlich, um den Chinesen über das „r" hinwegzuhelfen. Und mit der Bedeutung „schön" und „weiblich" muss sich Mali dann auch nicht verstecken. Christoph hingegen kann als Keli (克礼) wiedergegeben werden. Dabei wurde jedoch der Bedeutung mehr Wert beigemessen, ist Keli doch auf eine Lehre des Konfuzianismus zurückzuführen, in der die Bewahrung von Tugend und Moral thematisiert wird. Die einen mögen alte, traditionelle Werte, die anderen gehen voll in der Moderne auf. Ein chinesischer Passant hat sich direkt in den Königsstand erhoben, er heißt:
„E-King. Also König der Internetwelt."
Autoren: Marie Bollrich, Silvia Palm
Bilder: Marie Bollrich
Interview: Silvia Palm
Übersetzung: Xu Wei, Li Zheng
Sprecher: Xu Wei, Li Yanping, Li Zheng, Marie Bollrich