Martin Walsers Roman "Ein Liebende Mann" ist Mitte Dezember 2009 in Beijing zum besten fremdsprachigen Jahresroman des 21. Jahrhunderts gekürt worden. Der 82-jährige Walser ist eigens in die chinesische Hauptstadt gereist, um die Auszeichnung persönlich entgegen zu nehmen. Walser erhielt den Preis im Demokratiegebäude der Peking Universität. Michael Koliska berichtet:
Etwas mehr als 100 Menschen kamen ins Haus der Demokratie der Peking-Universität, um Martin Walser persönlich zu sehen. Doch bevor der 82-jährige auf die Bühne kam, wurde er nicht nur mit Reden, sondern auch mit Musik willkommen geheißen.
Die Deutsch-Studentinnen der Peking-Universität hatten Johann Wolfgang Goethes Heidenröslein extra einstudiert, weil es thematisch zu Martin Walsers Buch "Ein liebender Mann" passte. Denn in dem Roman erzählt Walser die Geschichte der letzten Liebe Goethes: Die ungewöhnliche und unglückliche Liebe zwischen dem 73-jährigen Dichterfürsten und der 19-jährigen Ulrike von Levetzow. Diese einfühlsame Geschichte voller Liebessehnsucht, Eifersucht, Zuversicht und Ernüchterungsschmerz begeisterte die Jury so sehr, dass sie den Roman als Gewinner des besten fremdsprachigen Roman des 21. Jahrhunderts im Jahr 2009 kürte.
Walser zeigte sich gerührt von der Auszeichnung. Allerdings sei er sich noch nicht ganz im Klaren, was die Ehre für ihn persönlich bedeute.
Das weiß ich noch nicht ...das muss mich mir noch ...das ist mir alles noch nicht so klar. Aber es war auf jeden Fall eine sehr sehr schöne und auch rührende Veranstaltung...Ich kann mir keine deutsche Veranstaltung denken, die so direkt und so bei der Sache ist, wie das hier der Fall ist. Das ist schon ganz enorm.
Obwohl Martin Walser ausgezeichnet wurde, sagt er, allein hätte er dies nicht geschafft.
Als ich gelesen habe, wie die Jury formuliert hat über mein Buch, dass es virtuose Sprachartistik hat und ein intellektuelles Vergnügen. Dann habe ich gewusst, das habe ich zu verdanken einem einzigen Menschen: Huang.
Huang Liaoyu ist Professor und Institutleiter für Germanistik an der Peking-Universität. Er hat neun Monate lang das Buch "Ein liebender Mann" übersetzt. Für Martin Walser ist Huang eine Ausnahmeerscheinung.
Huang Liaoyu zeigt sich dagegen bescheiden und bezeichnet seinerseits Walser als ein Sprachmeister.
Ich habe den Walser-Roman nicht verdorben. Ich habe den Roman dem Verlag vorgeschlagen und ich war sehr gespannt, was die Leute, die nicht Deutsch können, dazu sagen und ich bin von Anfang an überzeugt, dass viele Chinesen diesen Roman gut quotieren können. Ich freue mich sehr.
Für Huang Liaoyu war es eine intellektuelle Herausforderung, "Ein liebender Mann" zu übersetzen. Er sagt, es ist eine Herausforderung von der man lernen kann.
Ich mache auch Übersetzungsseminar, ich sage auch immer zu meinen Studenten: Jeder ehrgeizige Übersetzer sollte mal Walser übersetzen...Lachen
Für das Goethe-Institut hier in China sind Übersetzungen deutscher Autoren ein besonders wichtiges Anliegen. Es gehe darum, die deutsche Literatur im Reich der Mitte bekannter zu machen, sagt der Leiter des Instituts in Beijing, Michael Kahn-Ackermann. Denn die deutsche Literatur habe es in China, wie überall auf der Welt, nicht leicht, weil sie den Ruf habe, schwer rezipierbar zu sein. Deswegen werde auch ein Förderungsprogramm für Übersetzungen aufgelegt. Dort werden Übersetzungshonorare übernommen, die weit über dem üblichen Honorar vor Ort liegen. So sollen sich die Übersetzer auch ernsthaft mit dem Werk auseinandersetzen können.
Martin Walser hofft unterdessen, dass sein Buch hilft, Auskunft zu geben - Auskunft über andere Länder und Menschen. Für ihn ist das eine Schlüsselaufgabe der Literatur und er persönlich hat durch Dostojewski Russland, durch Faulkner die USA oder durch Shakespeare England kennen gelernt.
Wenn heute endlich die Politik soweit ist, die Menschen einander näher zu bringen, dürfen wir, wir Leser uns wundern: Für uns hat es nie ein Ausland gegeben. Wir waren in Spanien durch Cervantes genauso zuhause wie durch Melville in Amerika. Die Informationsgesellschaften lassen sich leichter gegeneinander mobilisieren als die Internationale der Leser.
Walser hat auch China und seine Geschichte vor allem durch die Literatur kennen gelernt und ist noch immer fasziniert.
Dieses gewaltige Geschichtsunternehmen namens China lässt mich aus dem Staunen nicht herauskommen. Ich bin dankbar dafür, dass mir Gelegenheit gegeben wird, mein Staunen in der Luft Chinas wachsen zu lassen. Und es ist die Literatur Chinas, die dafür sorgt, dass mein Staunen wächst und wächst.
Für Walser ist dies nun der zweite Chinabesuch. Er sagt, er sei vor allem von der Freundlichkeitsbegabung der Chinesen berührt und er könne sich vorstellen, eventuell noch einmal wiederzukommen, wenn möglich.
Verfasst und gesprochen von: Michael Koliska