M: Westlich vom Himmelstempel in Beijing befand sich einst ein Tummelplatz von Akrobaten mit außergewöhnlichen Kunststücken. Die Künstlersiedlung von Tianqiao war von 1821 bis etwa 1940 voll von Ständen verschiedener Künstler. Tierbändiger, Balanceakte auf dem Drahtseil oder dem Einrad und die Diabolo-Kunststücken zogen Zuschauer aus der ganzen Stadt an. Heute ist diese lebhafte Atmosphäre verschwunden und Kaufhäuser, Krankenhäuser sowie Wohnhäuser bestimmen jetzt vorwiegend das Bild von Tianqiao. Doch damit ist die Akrobatik in dem Stadtviertel nicht verschwunden.
F: In einem Trainingsstudio der China Akrobatengruppe werfen gerade junge Frauen Diabolos in die Luft. Diese sanduhrförmigen Doppelkegel werden mit einem Seil zum rotieren gebracht, an dessen Ende sich zwei Handstöckchen befinden. Es ist eine wahre Kunst mit den Diabolos zu jonglieren. Doch in den Händen der Frauen drehen sich die Diabolos spielend auf und ab. Eine etwa 60jährige Frau gibt indes Tipps und Hinweise.
M: Wang Guiqin kommt aus einer Familie, die seit Jahren mit der Diabolo Akrobatik ihr Geld verdient. Wang wurde 1941 geboren und ist die jüngste Tochter der Familie. Ihr Vater Wang Yutian war ein berühmter Meister des Diabolos in Tianqiao. Die Diaboloaufführungen der Familie Wang waren bekannt für die schnellen und graziösen Bewegungen. Wang Guiqin erinnert sich oft an ihre Kindheit, als sie gemeinsam mit ihrer Familie ihr außergewöhnliches Können in Tianqiao zeigte.
"Es war kein einfaches Leben, als wir in Tianqiao mit Diaboloaufführungen unser Geld verdienten. Um unseren Stand herum waren Holzbänken für die Zuschauer. Nach der Aufführung ging ich mit einer kupfernen Platte herum, um Geld einzusammeln. Die Aufführungen hingen auch vom Wetter ab. Schlechtes Wetter hieß, dass wir kein Geld verdienen konnten."
F: Wang Guiqin sagt, obwohl ihr Vater ein wahrer Künstler im Diabolospiel gewesen sei, verdienten sie nicht sehr viel. Manchmal hätten sie auch nicht genug Geld fürs Essen gehabt.
M: Nach der Gründung der Volksrepublik China gab es auch Hilfe für die Akrobaten von der Regierung. So hat China 1951 die erste staatliche Akrobatengruppe gegründet. Die drei größeren Schwestern von Wang Guiqin wurden von der so genannten „China Akrobatengruppe" aufgenommen. Damit sei das Einkommen der Familie beträchtlich gestiegen, sagt Wang Guiqin.
"Wir waren einfach zu arm, und so konnten meine größeren Schwestern nicht zur Schule gehen. Aber immerhin konnte ich nach der Gründung der Volksrepublik China die Schule besuchen. Seit dieser Zeit musste sich meine Familie auch keine Sorge mehr um den Unterhalt machen."
F: Seit der Gründung der Volksrepublik China erlebt die Akrobatik einen neuen Aufschwung. Es wurden viele Akrobatengruppen in verschiedenen Orten Chinas gegründet. Als sie zehn Jahre alt war, wurde Wang Guiqin von einer Beijinger Akrobatengruppe aufgenommen. Dort lernte sie die Grundlagen als auch spezielle Fachkenntnisse. Sie entwickelte zudem neue Tricks mit dem Diabolo, die von den Zuschauern sehr bewundert wurden. Ihre Kunstfertigkeit mit dem Diabolo wurde sogar im ersten chinesischen Akrobatikfilm dokumentiert.
"Die Entwicklung von der Diabolokunst hängt von der Innovation ab. Ich habe neue Bewegungen entwickelt und habe sie auch mit Musik, Tanz und anderen Faktoren verbunden."
M: Als Meisterin des Diabolos faszinierte Wang Guiqin viele Zuschauer. Später hat sie dann als Trainerin zahlreiche Diabolo-Jongleure für die Beijinger und China Akrobatengruppe ausgebildet.
F: Als Trainerin hat Wang Guiqin auch viele Aufführungen choreographiert, die sogar internationale Preise eingeheimst haben. Die Diabolo spielenden Beijinger Mädchen" gewannen etwa 1995 beim französischen Festival mondial du Cirque de Demain den goldenen Sonderpreis. Zehn Jahre später wurde das von ihr entworfene Programm „Schöne Huadan spielen Diabolos" beim selben Akrobatikfest mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2007 standen Wang Guiqins Schülerinnen auf der Bühne des CCTV-Abendprogramms zum Frühlingsfest.
"Viele sagen, auf den internationalen Akrobatikfesten konnte das kleine Diabolo seinen Glanz zeigen. Dabei konnte eine Gruppe von jungen Frauen den ersten Preis gewinnen. Die Zuschauer waren einfach begeistert. Für sie war die Diabolovorführung nicht nur ein Akrobatikprogramm, sondern Kunst."
M: Eigentlich könnte sich Wang Guiqin schon auf ihren Lorbeeren ausruhen. Doch sie käme einfach nicht vom Diabolo-Spiel los, sagt ihr Mann Wang Weiliang.
"Sie arbeitet sehr ernsthaft. Auch in ihrer Freizeit denkt sie an die Diabolokunst. Sie widmet ihr ganzes Leben dieser Akrobatik und will sie ständig verbessern."
F: Indes sagt Wang Guiqin, ohne Hilfe hätte sie nicht erfolgreich sein können.
"Ehrlich gesagt, habe ich viele Unterstützung erhalten. Etwas, was es im alten China nie gegeben hätte. Die Bedingungen heute sind viel besser. Wir haben ein großes Trainingsstudio. Neben dem Diabolo-Spiel lernen die Kinder auch etwa Tanz. Ich beneide sie sehr."
F: Wang Guiqin und ihr Mann können heute auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Indes unterrichtet Wang Guiqin in ihrer Freizeit das Diabolo-Spiel kostenlos in Schulen oder Wohnsiedlungen. Wang Guiqin verbindet mit der Diabolokunst gleichzeitig das Vermächtnis ihres Vaters mit ihrer Freude am Leben.
Moderatoren: Lü Xiqian, Michael Koliska