Die 180 Kilometer lange Strecke von Urumqi nach Turpan lässt das Herz eines jeden Geologen höher schlagen. Auf lange Abschnitte von Steinwüsten folgen bizarre Felsformationen, die ein wenig an den Südwesten der USA erinnern. Dazwischen immer wieder vereinzelte Sträucher, Bäume und karge Wiesen, auf denen Schafe und Kühe grasen. In der Ferne ragen die schneebedeckten Gipfel des Tian-Gebirges majestätisch in die Höhe.
Tian-Gebirge
Wüstenlandschaft zwischen Urumqi und Turpan
Ein Paradebeispiel für die gewaltigen landschaftlichen Kontraste innerhalb weniger Kilometer ist Turpan. Die Stadt, die wegen ihren heißen Temperaturen auch gerne als "Ofen" bezeichnet wird, liegt in einer Senke, deren tiefster Punkt sich über 150 Meter unterhalb des Meeresspiegels befindet. Mit regelmäßigen Temperaturen um die 40 Grad Celsius im Sommer gilt Turpan als heißester Ort Chinas. Im Winter hingegen kann das Thermometer schon mal auf -25 Grad Celsius fallen.
Trotz oder besser gerade wegen diesen extremen Temperaturen eignet sich Turpan hervorragend als Anbaugebiet für eine Vielzahl von Nüssen und Früchten. Ganz besonders bekannt ist das "Traubental", eine 16 Quadratkilometer große Oase inmitten der Wüste, in der ursprünglich Pfirsichbäume angepflanzt wurden. Auf Erlass des Kaisers wurde im 19. Jahrhundert aber auf den Anbau von Trauben umgestellt. Mittlerweile hat sich Turpan zu Chinas größtem Anbauort für Trauben entwickelt. Die Trauben in Turpan unterscheiden sich sowohl in ihrer ovalen Form als auch in ihrem süssen Geschmack markant von ihren französischen oder italienischen Verwandten. Ihr Fruchtzuckeranteil von über 20 Prozent ist weltweit einmalig.
Wüstenlandschaft zwischen Urumqi und Turpan
Traubental
Im Bereich der Weinproduktion hat sich der Erfolg jedoch trotz französischer "Entwicklungshilfe" noch nicht eingestellt. Gemäß lokalen Weinkennern liegt das allerdings weniger an der Qualität der Weintrauben als vielmehr an Mängeln beim Produktionsprozess. Daher ist der Wein aus Turpan bisher erst Weinliebhabern aus China ein Begriff.
Trauben aus Turpan
Dass die Landwirtschaft in der Turpan-Senke mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von lediglich 16 Millimetern überhaupt möglich ist, grenzt an ein Wunder. Der Name dieses Wunders heißt Karez, ein raffiniertes, zweitausend Jahre altes Bewässerungssystem, welches das Schmelzwasser vom Tian-Gebirge sammelt und unterirdisch weiterleitet. Während seiner Blütezeit betrug die Gesamtlänge des Karez über 5.000 Kilometer. Aufgrund seiner gewaltigen Dimension sowie seines Alters zählt das Karez-Bewässerungssystem zusammen mit der Großen Mauer und dem Beijing-Hangzhou-Kanal zu den drei Wunderwerken des chinesischen Altertums.
Sollte es den Trauben im Ofen von Turpan in Zukunft wider Erwarten an Wasser mangeln, ist immerhin für eine kühle Brise gesorgt. Dafür sorgen allein schon die riesigen Windräder von Dabancheng, Asiens größtem Windpark, der sich auf halbem Weg zwischen Urumqi und Turpan befindet. Der sich im Ausbau befindliche Windpark etwas weiter östlich wird im Volksmund schon jetzt als "Klimaanlage von Turpan" bezeichnet.
Windpark Dabancheng
Mit freundlichen Grüssen aus dem "Ofen" von Turpan,
Text: Simon Gisler
Fotos: Li Qian