Im Beijinger Stadtzentrum gibt es eine schmale gewundene Gasse namens Cuihua. Vor 28 Jahren war diese Gasse wegen eines Familienlokals und seiner Besitzerin Liu Guixian sehr bekannt. Ihr Lokal ist nämlich das erste Familienlokal in der VR China überhaupt.
1980 führte die Familie von Liu Guixian ein eher einfaches Leben.
"Unser Einkommen reichte damals fast nicht zur Versorgung aller Kinder aus. Das Leben war hart. Ich arbeitete damals als Köchin, ich kann gut kochen. So dachte ich: warum nicht mein eigenes Lokal eröffnen? Es schadet ja nichts. Also kündigte ich."
Liu Guixian sagt, sie habe einfach ein bisschen Geld verdienen wollen, um die Familie finanziell zu entlasten. Zum anderen dachte sie, dass zwei Kinder von ihr, die damals arbeitslos waren, in einem eigenen Lokal etwas lernen könnten, um später einen guten Job zu finden.
Sie ging zunächst zum Industrie- und Handelsamt des Bezirks Dongcheng, um dort einen Gewerbeschein zu beantragen. Aber niemand wagte es, ihr so einen Gewerbeschein auszustellen. Denn damals gab es in ganz Beijing noch kein Privatlokal. Alle Lokale waren vom Staat betrieben.
Über einen Monat ging Liu Guixian jeden Tag in das Industrie- und Handelsamt und bat um ihren Gewerbeschein. Die Verantwortlichen waren von ihrem Mut sehr berührt.
"Die Mitarbeiter im Industrie- und Handelsamt sagten: Sie brauchen nicht mehr jeden Tag zu uns kommen. Wir haben schon diskutiert. Ausnahmsweise können Sie das Lokal vorerst einmal eröffnen. Wenn dann niemand dagegen ist, können Sie bei uns einen Gewerbeschein erhalten. "
Die "Sondergenehmigung" war aber nur der erste Schritt. Um ein Lokal zu eröffnen, fehlte Liu Guixian noch das entsprechende Startgeld. So war sie beispielsweise finanziell nicht in der Lage, Eßtische und Stühle zu besorgen. Also ging sie erneut zum Industrie- und Handelsamt und bat um Hilfe.
"Ein Beamter namens Suo sagte mir: "Ich begleite dich zur Bank.". Dort unterschrieb er eine Bürgschaft. Ich bekam also von der Bank einen Kredit in Höhe von 500 Yuan RMB. Zum ersten Mal im Leben erhielt ich einen Bankkredit! Das bereitete mir wirklich etwas Sorgen."
Mit diesem Geld kaufte Liu Guixian einen großen Ofen, vier gebrauchte Tische und mehr als zehn kleine Stühle, um den Speiseraum auszustatten. Sie besorgte sich zudem einen Kühlschrank aus zweiter Hand. Kurz vor der Eröffnung des Lokals hatte sie allerdings nur noch 36 Yuan übrig, um Speisen und Zutaten zu kaufen. Da die meisten Lebensmittel in chinesischen Städten damals zugeteilt und nur mit einem Coupon erhältlich waren, blieb der Lokalbesitzerin nur die Wahl, vier Enten nach Hause zu tragen.
Am 30. September 1980 wurde schließlich das Yuebin-Lokal von Liu Guixian eröffnet. Beim Krachen der Feuerwerkskörper stand bereits eine lange Warteschlange vor der Tür. Innerhalb von wenigen Stunden verdiente Liu Guixian mit den Gerichten, die sie mit den vier Enten zubereitet hatte, genug Geld, um damit wiederum sieben Enten zu kaufen.
"Es kamen also über 100 Gäste, trotz Regens. Alle brachten einfach ihre Regenschirme mit. Eigentlich wollte ich nur mal schauen, ob wirklich Gäste kämen. Mit dem Knallen des Feuerwerks wussten sofort alle, dass ein privates Lokal in der Gegend eröffnet wurde. So kamen viele Gäste zu uns."
Drei Monate später tauchten in Beijing Märkte auf, auf denen man mit Agrarprodukten frei handeln konnte. So wurde auch für Liu Guixian das Problem der Versorgung mit Nahrungsmitteln gelöst. Das Yuebin-Lokal wurde immer populärer. In der Cuihua-Gasse herrschte damals immer viel Betrieb. Unter den Gästen, die im vollen Speiseraum saßen, gab es auch einige Gesichter aus fremden Ländern. Gäste aus den USA malten sogar einen Stadtplan für das Yuebin-Lokal. Darauf war geschrieben, "Wer nicht bei Yuebin war, ist kein richtiger Mann". Ein ähnlicher Satz wurde früher nur für die Große Mauer verwendet. Die US-Botschaft verschickte den Stadtplan sogar an andere ausländische Botschaften. Der Name des Lokals wurde so im Botschaftsviertel schnell bekannt. Später bestellten ausländische Botschaften oft Essen bei Yuebin.
"Alle mussten zunächst das Essen vorher bestellen. Erst über zwei Monate später konnte man endlich einen Platz bei uns bekommen, da unser Lokal nicht viel Platz geboten hat. Aber selbst unter diesen Umständen kamen Gäste."
Das Lokal lief also wirklich gut. Doch Liu Guixian war beunruhigt über Gerüchte, dass sie irgendwann inhaftiert werden könnte. Sie war für die damalige Zeit zu oft mit Ausländern zusammen. Sogar die Schulfreunde ihrer Kinder kamen nicht mehr zu ihnen nach Hause zu Besuch. Doch just in dieser Zeit besuchten zwei ganz besondere Gäste die Familie - die damalige stellvertretende Ministerpräsidentin Chen Muhua und der stellvertretende Ministerpräsident Yao Yilin! Es war während des Frühlingsfestes 1981, als die beiden führenden Politiker in ihr Lokal kamen.
"Sie fragten sehr ausführlich, wie ich ausländische Gäste empfing und was sie gerne aßen. Chen Muhua ging direkt zu meinem kleinen Kühlschrank, öffnete ihn und sagte, "Alles bei dir hier ist sauber. Du kannst mehr kalte Gerichte zubereiten. Mit kalten Gerichten verdient man ja mehr!"
Liu Guixian sagt, der Besuch der beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten sei die größte Freude ihres Lebens gewesen. Denn dies habe sie unheimlich ermutigt.
Ihr fiel damit endlich regelrecht ein Stein vom Herzen. Liu Guixian war entschlossen, ihr Lokal weiterzuführen. Zwei Jahre später erlaubte schließlich die Regierung privaten Einzelbetrieben, ein bis zwei Angestellte zu haben. Liu Guixian konnte somit mehr Mitarbeiter beschäftigen. Mit dem Yuebin-Lokal sind für Liu und ihre Familie endlich gute Zeiten eingetreten.
Liu Guixian und ihr Mann haben sich in einem Vorort einen ebenerdigen viereckigen Wohnhof mit einer Fläche von über 600 Quadratmetern gekauft. Im Herbst sitzen sie nun gern unter dem Kakipflaumenbaum im Hof, trinken Tee und lauschen den Elstern. Doch das Yuebin-Lokal ist noch immer ein fester Bestandteil in ihrem Leben.
"Das Glück ist, dass man das machen kann, was man will. Ich denke immer noch an mein Lokal. Deswegen höre ich trotz meines Alters von bereits über 70 Jahren noch nicht auf. Jedes Mal, wenn ich daran denke, wie schwer es damals für mich war, das Lokal zu eröffnen, wie ich geweint und durchgehalten habe, sage ich mir, ich werde hier weiter durchhalten, bis ich es eben nicht mehr kann."
Das bekannte Lokal ist auch heute noch nicht sehr groß. Am Türeingang hängen ein paar rote Lampions. In dem über 20 Quadratmeter großen Speiseraum stehen mehr als zehn einfache Holztische mit Stühlen. Auf dem Türschild steht jedoch etwas ganz Besonderes: "Erstes Familienlokal Chinas".
Gäste bemerken oft, dass eine alte Dame mit Brille im Lokal sitzt und den Mitarbeitern Arbeitshinweise gibt. Manchmal plaudert sie auch mit den Stammkunden. Diese Dame ist Liu Guixian, die in diesem Jahr 76 alt geworden ist!
Verfasst von: Pan Ying
Übersetzt und Bearbeitet von: Qiu Jing
Gesprochen von: Lu Ming