Das Erdbeben forderte aber nicht nur zahlreiche Tote und Verletzte, sondern hat bei vielen Überlebenden auch tiefe seelische Spuren hinterlassen. Lu Tao arbeitet in einer Zementfabrik im Kreis Beichuan. Sein Sohn habe mit ansehen müssen, wie seine Mitschüler durch das Erdbeben ums Leben gekommen sind, und daher lange gebraucht, um die grausamen Erinnerungen zu verarbeiten, erzählt uns Lu Tao:
"Mein Sohn besuchte damals die erste Klasse an der Beichuan-Mittelschule. Noch lange Zeit nach dem Erdbeben musste ich ihn ins Bett begleiten, weil er nicht allein einschlafen konnte. Erst wenn er eingeschlafen war, konnte ich das Licht ausmachen. Er hatte große Angst. Oft wurde er von Alpträumen geplagt und weinte."
Das chinesische Gesundheitsministerium sowie diverse große Krankenhäuser haben mehrere Teams für die psychologische Betreuung der Erdbebenopfer ins Katastrophengebiet geschickt. In erster Linie wurden Kinder und Jugendliche, sowie Eltern, die ihre Kinder verloren haben, psychologisch betreut. Inzwischen ist auch ein nationales Projekt zur Erforschung der psychischen Folgeschäden nach dem Erdbeben ins Leben gerufen worden. Bis spätestens 2010 soll ein nationales Netzwerk für die psychologische Betreuung der Erdbebenopfer errichtet werden.
Im Volkskrankenhaus der Provinz Sichuan wurden nach dem Erdbeben über tausend Verletzte behandelt. Neben herkömmlichen körperlichen Verletzungen mussten bei vielen Patienten auch psychologische Folgeschäden behandelt werden. Laut Angaben von Xiao Jun, einem Psychologen des Volkskrankenhauses, litten viele Erdbebenopfer unter Angstausbrüchen und Depressionen. Bei vielen bestand auch erhöhte Selbstmordgefahr.
Unmittelbar nach der Katastrophe sei im Volkskrankenhaus ein Team zur psychologischen Betreuung der Erdbebenopfer eingesetzt worden. Dank den Bemühungen der Psychologen habe sich der mentale Zustand vieler traumatisierter Überlebender bereits merklich gebessert, erklärt Cai Li, der stellvertretende Leiter des Volkskrankenhauses der Provinz Sichuan:
"In unserem Krankenhaus wurde sofort nach dem Erdbeben eine Gruppe zur psychologischen Betreuung der Erdbebenopfer gebildet. Die Verletzten wurden psychologisch behandelt. Zur Schulung des Personals in psychologischer Hilfeleistung wurden nach der Katastrophe vier Ausbildungskurse durchgeführt. Alle ergriffenen Maßnahmen dienen der raschen psychischen Genesung der Patienten. Bisher wurden 697 Menschen psychologisch betreut. Der Zustand dieser Patienten konnte stabilisiert werden. Sie sind nun in der Lage, das Erlebte richtig einzustufen."
Auch Lu Tao sagt, der psychische Zustand seines Sohnes habe sich dank der psychologischen Betreuung durch die Psychologen inzwischen deutlich verbessert.